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Konzert „Zuflucht“ in der Kölner Philharmonie


Konzert Zuflucht in der Kölner Philharmonie mit Thomas Hampson und dem Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Emmanuel Tjeknavorian Foto Andrea Matzker

Seit 2014 organisiert das Gürzenich-Orchester von Köln jährlich ein hochkarätig besetztes Konzert zugunsten der Aktion „wir helfen“ des Kölner Stadt-Anzeigers. In diesem Jahr fand das Konzert mit dem Titel „Zuflucht“ unter dem Motto Migration statt. Dementsprechend waren auch die musikalischen Beiträge ausgesucht.





Konzert Zuflucht in der Kölner Philharmonie mit Thomas Hampson und dem Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Emmanuel Tjeknavorian Foto Andrea Matzker

In einer Einführung, die kurz vor dem Konzert stattfand, wurden einige Aspekte erläutert, die vielen Zuhörern bislang noch nicht bekannt waren. So erfuhren sie voller Überraschung, dass der weltberühmte Donauwalzer von Johann Strauß zunächst in Wien überhaupt keine große Resonanz fand. Erst in der Fremde erfuhr er seinen Erfolg. Auch, dass er ursprünglich ein Chorstück war, das im Auftrag des Wiener Männer-Gesang-Vereins geschrieben wurde, war wenigen bekannt.

Bei der Uraufführung in Wien im Februar 1867 war der Komponist nicht einmal anwesend, denn er wollte nicht den gesungenen Faschingstexten beiwohnen müssen. Der Text begann nämlich damals tatsächlich mit: „Ei, Fasching ist da! Ach so, na ja!...“

Bei der Pariser Weltausstellung stellte er seine Instrumentalversion vor, und die Franzosen waren begeistert von „Le beau Danube bleu“. Aber erst, als Strauß seinen Walzer in Boston beim „World Peace Jubilee“ vor 100.000 Menschen mit tausenden von Sängern aufführte, wandelte sich der einstige Ladenhüter in einen Exportschlager und gilt heute zusammen mit Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ als so etwas wie die heimliche österreichische Nationalhymne. Ohne den Donauwalzer wäre das traditionelle Wiener Neujahrskonzert undenkbar.


Konzert Zuflucht in der Kölner Philharmonie mit Thomas Hampson Foto Andrea Matzker

Kurt Weill floh nach der nationalsozialistischen Machtergreifung aus Deutschland und suchte Zuflucht in der Fremde. Zunächst in Frankreich, dann in den USA. Im Gegensatz zu anderen namhaften Komponisten wurde ihm die Neue Welt tatsächlich auch zur neuen Heimat. In den USA adaptierte er den Stil des amerikanischen Musicals und wurde zum erfolgreichen Broadway-Komponisten. „Speak low“ ist einer seiner Titel, die ihren Weg ins Great American Songbook fanden. Aus dieser letzten amerikanischen Schaffensphase stammen auch die vier Walt Whitman Songs. Damit thematisierte er auch das Leid, das mit jedem Krieg einhergeht.

Der amerikanische Nationaldichter Walt Whitman hatte die Schrecken des amerikanischen Bürgerkriegs hautnah miterlebt. Besonders das zweite Lied „O Captain! My Captain!“ vertont eines der bekanntesten Whitman-Gedichte, das ursprünglich die Ermordung Abraham Lincolns betrauerte. Durch den Film „Der Club der toten Dichter“ erlangte es weltweite Popularität. Der US-amerikanische Bariton Thomas Hampson setzt sich intensiv für diese Lieder ein, da für ihn der Dichter die Stimme der amerikanischen Demokratie repräsentiert.


Konzert Zuflucht in der Kölner Philharmonie Hedwig neven DuMont von wir helfen mit dem Scheck der Konzerteinnahmen Foto Andrea Matzker

Der Titel von Dvoráks Neunter Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ lässt etwas von dem Wagnis erahnen, das eine USA-Reise zu Zeiten eines Johann Strauß oder eines Antonin Dvorák damals bedeutete. Nicht umsonst nahm die Besatzung der Apollo 11 diese Komposition wesentlich später mit auf ihre Reise zum Mond. Der Komponist hatte unzählige indianische, „typisch amerikanische“ und indigene Melodien studiert, bevor er sich an seine Sinfonie begab. Ihre Uraufführung am 16. Dezember 1893 in der Carnegie Hall wurde zum umjubelten Erfolg. Damals meinte der Kritiker der New York Times von dem berühmten pentatonischen Englischhorn-Thema des zweiten Satzes, es sei „durchdrungen vom Geist der Indianer-Melodien“. In jedem Fall sind neben Erinnerungen an jene Melodien unüberhörbar auch Dvoráks böhmische Wurzeln herauszuhören. Anders als erwartet, endet das berühmteste Werk des Komponisten leise in einem nachhallenden Bläserakkord. So herrschte auch in der Kölner Philharmonie viele Sekunden lang absolute Stille, bevor der brandende Applaus mit Standing Ovations einsetzte.

Selten sah man das gesamte Gürzenich-Orchester derartig schwungvoll, fröhlich, strahlend, verschmitzt und leidenschaftlich wie unter dem bemerkenswerten 27-jährigen Dirigenten. Trotz großer Tiefe und kraftvoller Klangfarbe wirkten alle ausgesprochen gelöst und locker, was sich auf das Publikum übertrug. Der sympathische, feinfühlige, lebendige und unentwegt mit Instrumentalisten und Sänger intensiv kommunizierende Dirigent begeisterte Musiker wie Zuhörer. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so diszipliniert war das Publikum.


Konzert Zuflucht in der Kölner Philharmonie Stehende Ovationen für Emmanuel Tjeknavorian am Ende des Konzertes Foto Andrea Matzker

Alles vordergründig Spektakuläre liegt dem jungen Maestro fern. Ganz im Gegenteil: Der Donauwalzer beginnt kaum hörbar leise und wurde ausgesprochen geschmack- und spannungsvoll interpretiert ohne jegliche wirkungsvolle Oberflächlichkeiten eines Gassenhauers. Bei den vier Whitman Songs aus den Jahren 1942 bis 1947 übertrafen sich Dirigent und Solist regelrecht selbst und boten durch ihr inniges Verständnis eine unvergessliche Darbietung, die eine Zugabe verlangte, wobei Hampson das zweite Lied auswählte. In der Pause konnte die Vereinsvorsitzende von „wir helfen“, Hedwig Neven DuMont, einen Scheck von 15.000 € für die Einnahmen dieses Konzertes vom Gürzenich-Orchester für Kölner Kinder in Not in Empfang nehmen. Somit wurden bislang 116.126,50 € für bedürftige Kinder gesammelt. Die sich anschließende Neunte Sinfonie von Dvorák wurde zum grandiosen Höhepunkt des gesamten Konzertes, da die Musiker feurig und zugleich beseelt unter dem temperamentvollen Tjeknavorian spielten und alles gaben. Das Konzert war einfach nur die pure Freude - für die Musiker selbst als auch für die Zuhörer.



 


Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger

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