Das anstehende Jubiläum am 9. November 2022 begeht die AG Arsch huh, Deutschlands langlebigste Musiker- und Künstlerinitiative gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit mit der Veröentlichung des Tonträgers »30 Jahre Arsch huh – Wachsam bleiben!«.
Die Anthologie – erhältlich als Dreifach-Vinyl, Doppel-CD und Download – versammelt Songs von 30 Künstler:innen, die bei aller Unterschiedlichkeit für Toleranz stehen und unter dem Motto »Arsch huh, Zäng Ussenander« weiterhin Motor für gesellschaliches Engagement sind. »Es ist ein schönes, sehr abwechslungsreiches, ein versöhnliches Album«, sagt Arno Steen, zusammen mit Walter Pütz, einer der Kuratoren dieser Song-Sammlung, »es sollten diesmal nicht nur »die üblichen Verdächtigen« wie BAP, Bläck Fööss, Kasalla, Höhner, Brings, Tommy Engel, Cat Ballou usw. vertreten sein, sondern auch weibliche Kolleginnen wie die Beer Bitches um Carolin Kebekus oder Charly Klauser, und Bands wie Querbeat, AnnenMayKantereit und nahestehende Figuren wie Stoppok
.« Der Versuch, musikalisch über den Tellerrand zu schauen, kölsche Power und nationale Interpret:innen aus gegensätzlichen Genre-Lagern unter dem Dach der AG Arsch huh zu vereinen und das alles auch noch gut klingen zu lassen, ist durchweg gelungen. Die Kompilation – man beachte das von Wolfgang Niedecken gestaltete Cover mit dem Foto aus der Vogelperspektive auf den überfüllten Chlodwigplatz am 9.11.1992 – enthält vertraute Titel wie »Su läuf dat he« von der AG Arsch huh, »Jivv mer ding Hand« von Arno Steen, »Jeisterfahrer« von BAP, »Schlaf gut mein Land« von Brings & dem Beethoven Orchester Bonn, »Jröne Papajeie« von Kassala feat. Eko Fresh, aber eben auch Überraschendes wie »Bes zum nächste Morje«, eine wunderschöne Ballade zum Flüchtlingsthema von den Beer Bitches, »Freiheit« von den Höhnern und der ukrainischen Sängerin Angelika Falkenstern, das unter dem Eindruck von Russlands Überfall auf die Ukraine aufgelegt wurde, »Wir sind nicht das Volk (lass sie rein)« von Erdmöbel oder »Das letzte Kommando« von Fortuna Ehrenfeld. Es würde den Rahmen sprengen, wollte man alle Künstler:innen auführen – nur so viel: Vielfalt passiert hier
Was 1992 galt, gilt bis heute: Die AG Arsch huh ist immer noch und immer wieder »ein übergreifendes Bündnis aus allen demokratischen Kräen, von der politischen Linken bis weit ins bürgerliche Lager.« (Liner Notes) Der Schulterschluss zwischen Rockmusiker:innen und Karnevalist:innen hatte damals Signalwirkung.
An jenem denkwürdigen November-Abend 1992 teilten sie sich friedlich die Bühne vor der Vringspooz: Musiker:innen aller Couleur von Pop bis Punk, von Soul bis HipHop, von Blues bis Weltmusik, Zeitzeug:innen, Politiker:innen und Kabarettist:innen, Triviatas – Kölns 1. Schwulenchor, Kulturschaende wie Elke Heidenreich, Günter Wallraff, Klaus Bednarz (»Monitor«) und der Edelweißpirat Jean Jülich mit bewegenden Redebeiträgen. Als Vertreter der älteren Generation begeisterte Volksschauspieler Willy Millowitsch mit seiner Rezitation aus Carl Zuckmayers »Des Teufels General« über die vielfältigen Wurzeln der Rheinländer:innen die 100.000 dicht gedrängten Menschen, die zu Kundgebung und Konzert gekommen waren und den gesamten Chlodwigplatz und alle abzweigenden Straßen füllten.
Der von Nick Nikitakis komponierte und von Wolfgang Niedecken getextete Protestsong »Arsch huh, Zäng Ussenander!« wurde zur Hymne und spielte innerhalb kurzer Zeit eine Million D-Mark ein, Geld, mit dem zivilgesellschaliche Projekte in der gesamten Region gefördert werden konnten. Der Nucleus der Organisator:innen und Musiker:innen entschied sich seinerzeit, die eigene Popularität dauerha für politische Ziele zu nutzen. Zu diesem Zweck gründete man einen Verein: Arsch huh, Zäng Ussenander! e.V.
30 Jahre, zwei Jubiläen und zig Kundgebungen, Konzerte und oensive Aktionen später ist das ema der AG Arsch huh aktuell und brisant wie eh und je. Rechtsextremismus, Rassismus, Ausgrenzung, Neonazis, Holocaust-Leugner:innen, soziale Schieage in der Stadtgesellscha – immer wieder erhebt die braune Hydra ihr schreckliches Haupt und genau deswegen ist »Wachsam bleiben!« das Gebot der Stunde. Alles geht, nichts muss: Surf-Pop der Gute-Laune-Band Planschemalöör feat. Dan O’Clock mit »Keinen Millimeter«, Purple Schulz’ »Das ist die Zeit« mit Zeilen wie »Die Angst weht durch die Straßen | Sie kriecht in jedes Haus | Der Hass reibt sich die Hände ...« und danach Anke Schweitzer und Rolf Lammers mit der leisen Klavierballade »Treibgut« – all das fügt sich wunderbar und ergibt nach insgesamt fast 118 Minuten Laufzeit ein Album, das unzählige Stimmungen transportiert, berührt, belustigt, verstört, das Wiederhören mit ikonischen und neuem Arsch huh-Material wie »Alles verlore« ermöglicht, das Mundart und Hochdeutsch, Tradition und Moderne versöhnt
Für das Mastering und die Angleichung der verschiedenen Titel verdient Dieter Krauthausen höchstes Lob. Die gelungene Songauswahl und die kluge Running Order der 30 Titel haben Arno Steen und Walter Pütz ›Zeit, Nerven und Hirnschmalz gekostet‹. Der Einsatz hat sich gelohnt! Keine Brüche, keine Schreckmomente, keine Füller – man kann »30 Jahre Arsch huh« von vorne bis hinten durchhören und begrei, dass Songs die besseren Waen sind im Kampf gegen Vergessen, Ignoranz und Intoleranz. So geht ›Wachsam bleiben!‹
Daten & Fakten Titel: 30 Jahre Arsch huh – Wachsam bleiben!
Laufzeit: 117:53 Minuten
Label: GMO-e Label Pavement Records
Format: Dreifach Vinyl (GMO-e Label),
Doppel-CD und Download
Pavement Records
Vö 4.11.22
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